Neuromarketing, Hirnforschung, Imprints, Neuropricing u. v. m. Immer häufiger müssen sich Dialogmarketer im Alltag mit den Erkenntnissen aus der Psychologie auseinandersetzen. Dabei stellt sich die Frage, ob das immer hilfreich ist. Deshalb nutzte Andreas Romanowski, geschäftsführender Gesellschafter von B&F, die Gelegenheit und traf sich mit dem führenden Experten in der wissenschaftlichen Forschung des Dialogmarketings, Robert K. Bidmon, zu einem Interview.
Romanowski: Werbung ist für viele Menschen allein ein Prozess gestalterisch-kreativer Köpfe. Disziplinen wie die Psychologie werden hingegen eher selten assoziiert. Welchen Einfluss haben psychologische Aspekte heute auf die Kundenkommunikation?
Bidmon: Erfolgreiches Marketing geht heute weit über Gestaltung hinaus: Wenn das Angebot von der richtigen Zielgruppe zum richtigen Zeitpunkt wahrgenommen wird, haben Sie schon den größten Teil des Erfolges. Kreative Topleistungen an die falschen Zielgruppen oder zum falschen Zeitpunkt floppen dagegen. Für Erfolg ist mehr nötig als nur kreative Gestaltung.
Präzise und hilfreiche Ergebnisse für alle Gebiete der Marketingpraxis liefert heute die wissenschaftliche Markt- und Werbepsychologie – weit über die alleinige Gestaltung hinaus. Diese Ergebnisse geben Sicherheit bei der Entwicklung von Marketingkampagnen, denn heute spielen psychologische Aspekte eine immer wichtigere Rolle im Dialogmarketing: egal ob es um die Beschreibung der Zielgruppe geht, um Empfehlungen zur Produktgestaltung, um die Psychologie des Preises oder natürlich der werblichen Gestaltung. Leider wird heute in vielen Vorträgen und Publikationen ein falsches Bild von der Werbepsychologie verbreitet. Viele Dinge werden mit dem Etikett „psychologisch“ versehen – obwohl da nur Küchenweisheiten drin sind, nicht aber wissenschaftliche Psychologie.
Romanowski: Verkaufsorientiertes Dialogmarketing ist in manchen Teilen ja nicht unbedingt für subtilen Einfluss und unterschwellige Botschaften bekannt. Es ist sehr direkt – aber trotzdem erfolgreich. Spricht das nicht gegen die Bedeutung der Psychologie?
Bidmon: Die wissenschaftliche Werbepsychologie beschäftigt sich auch (!) mit der unbewussten Wahrnehmung von Werbung. Doch nach den neuen Erkenntnissen funktioniert dieses Unbewusste ganz anders, als es sich einst Freud und heute auch noch viele Laien vorstellen: Nicht das „Verdrängte“ ist Kennzeichen des Unbewussten. Vielmehr bereitet es unser tägliches Tun vor: Das Unbewusste ist hilfreich für den Alltag. Es scannt u. a. die Werbung, und macht dann – wenn eine Botschaft für uns nützlich und relevant ist – unser Bewusstes auf die Werbung aufmerksam. Werbung sollte zuerst das Unbewusste und dann das Bewusste ansprechen. Und zwischen der ersten unbewussten Aufnahme einer werblichen Information und dem späteren Verhalten, der Response, gibt es viele Zwischenstufen. Emotionen und Motive werden mit der Botschaft verbunden. Das Verstehen der Botschaft und die Planung der Response spielen ganz entscheidende Rollen. Für alle diese Stufen gibt es fundierte Optimierungsregeln – wenn man sie berücksichtigt, wird eine Response noch wahrscheinlicher. Ein Teil der verkaufsorientierten Dialogmarketing-Regeln entspricht hier den Ergebnissen der Markt- und Werbepsychologie. Deshalb ist dieser Teil der Praxisregeln auch sehr hilfreich. Die Werbepsychologie beschäftigt sich heute mit dem gesunden Menschen in seiner Gesamtheit – und das wird heutzutage immer wichtiger. Auch nach Kotler wird ja das „Marketing 3.0“ den Menschen ganzheitlich betrachten müssen. Deshalb wird die Bedeutung der Psychologie zunehmen.
Romanowski: Das verkaufsorientierte Dialogmarketing gewinnt ja seine Erfolgsregeln durch Tests. Wie sieht denn das in der Psychologie aus?
Bidmon: Die Psychologie bietet eine Sicherheit bei der Anwendung von Erfolgsregeln. Sie gewinnt diese aus vielen Experimenten, die nach anerkannten Standards durchgeführt werden. Sie funktionieren so ähnlich wie die Tests, mit der die Dialogmarketing-Praxis ihre Erkenntnisse gewinnt. Auch für die Entwicklung, Durchführung, Auswertung und Interpretation eines Tests gibt es in der Wissenschaft klare Standards. Leider werden einige davon in der Dialogmarketing-Praxis vernachlässigt. Daher sind viele Praxisergebnisse mit vielen Unsicherheiten behaftet. Manches Ergebnis eines einzigen Praxistests wird auch unzulässig verallgemeinert – doch eine Schwalbe macht ja noch lange keinen Sommer. Psychologen hingegen fassen die Ergebnisse vieler Tests zur gleichen Erfolgsregel zusammen. Wenn dann viele Tests das gleiche Ergebnis haben, dann kann man so einer Erfolgsregel vertrauen.
Romanowski: Welche Vorteile haben denn solche Erfolgsregeln für den Praktiker?
Bidmon: Wenn Sie die gefundenen Erfolgsregeln mit den Praxisregeln vergleichen, stellen Sie fünf Dinge fest. 1. Ein großer Teil der Praxisregeln wird im Kern wissenschaftlich bestätigt. 2. Ein anderer Teil erweist sich als falsch. 3. Es gibt eine ganze Menge neuer Erkenntnisse, die die Praxis befruchten können. Mit der Sicherheit, welche Regeln richtig sind, und neuen Ideen können Sie jetzt noch besser gestalten. Außerdem begründen Sie, 4., Ihre Gestaltung noch besser gegenüber dem Chef, dem Kollegen und dem Kunden. Entscheidend ist für mich der 5. Punkt: Viele der gut begründeten Regeln lassen sich auf alle Instrumente anwenden, egal ob Online oder Offline. Die Prozesse der Wahrnehmung, die Motivation, die ausgelösten Emotionen – alle beruhen auf den gleichen Prinzipien. Deshalb: Wer die Regeln einmal lernt, kann viel besser – und erfolgreicher – auch crossmedial gestalten.
Romanowski: Nicht nur, aber besonders in der Werbung von Abonnenten ist das Fragebogen-Mailing seit gut einem Jahrzehnt ein Werbemittel mit großem Erfolg. Was löst der Mitmach- und Aufforderungscharakter eigentlich beim Empfänger aus?
Bidmon: Widerspruch! Die Formel „Fragebogen-Mailing = Erfolg“ ist so nicht richtig! Der Erfolg liegt nicht am Fragebogen selbst, sondern an der Denkarbeit, die vorher geleistet wird. Da beantwortet man Fragen wie: Was soll mit dem Fragebogen erreicht werden: Kundenbindung? Neue Erkenntnisse über die Kunden? Wie viele Fragen sollten gestellt werden? Wer ist die die richtige Zielgruppe? Wie viele Personen sollen wie häufig befragt werden? Wann? Womit soll die Befragung kombiniert werden? Die Antworten stellen sicher, dass der spätere Fragebogen wirklich auf die Zielgruppe zugeschnitten wird. So wie jedes Werbemittel erfolgreich ist, wenn es sehr gut auf die Zielgruppe zugeschnitten ist, sind auch zielgruppengenaue Befragungen (Mailings, E-Mails, Online-Befragungen etc.) erfolgreich. Überspitzt formuliert: In den meisten guten Fragebogen-Mailings zeigen wir ein wirkliches Interesse an der Meinung der Zielperson und wir geben oft auch eine Belohnung für die geäußerte Meinung. Im Gegensatz dazu zeigen wir mit anderen Werbemitteln ein Interesse am Geld des Empfängers der Botschaft und versuchen ihn von einem Kauf zu überzeugen…
Romanowski: Jüngst ermittelte eine Studie, dass ältere Kunden eher auf weiße Umschläge, jüngere eher auf bunte Bedruckungen positiv reagieren. Ist da ein Wandel eingetreten, bei dem nicht mehr das Angebot der Hero und die Fontfarbe nicht mehr egal ist?
Bidmon: Na ja, erstens ist eine Studie noch nicht die Grundlage für einen Trend und zweitens sollten wir genauer hinschauen, ob es vielleicht nicht auch andere Faktoren gibt, die diese Ergebnisse erklären. Gute und überzeugende Produktideen werden auch in Zukunft das Produkt zum Hero machen. Das zeigt schon ein Blick in die Vergangenheit. Wer eine wirkliche Produktinnovation auf den Markt bringt, hat eine Basis für Erfolge. Denken Sie an das iPhone oder das iPad, Google oder Facebook, Navigationssysteme u. v. m. Doch Heroes haben oft einen oder sogar mehrere Begleiter: Batman hat Robin, Sherlock Holmes hat Watson, Frodo Beutlin hat Sam usw. Der Begleiter unseres Hero-Produkts ist die werbepsychologisch optimierte Kampagne. Die Formel lautet daher: Innovation + optimale Marketingkampagne = Erfolg. Nur wenn die Produkte sich gleichen, differenziert die werbliche Gestaltung wirklich. Und auch hier gibt die Markt- und Werbepsychologie entscheidende Hinweise und nennt Ihnen Erfolgsfaktoren.
Romanowski: Herzlichen Dank für das Gespräch.